Der durch den map-report bekannte Manfred Poweleit gab heute ein interessantes Statement. In der Netzeitung heißt es dazu:
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu Lebensversicherungen kann sich nach Meinung des Branchenexperten Manfred Poweleit negativ auf die Überschussbeteiligung der Versicherten auswirken. «Ich halte das Urteil für verbraucherfeindlich», sagte der Herausgeber des Branchendienstes «Map-Report» am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa.
Stille Reserven der Versicherer könnten auch negativ sein, argumentierte Poweleit. Würden die Schlussgewinne der Versicherer künftig mit den stillen Reserven verrechnet, könne die Höhe der Überschussbeteiligung leiden.
Stille Reserven «in den Keller gegangen»
Dass die Reaktionen von Verbraucherschützern auf die Richterentscheidung so positiv ausgefallen seien, hänge offenbar mit «politischen Ideologien» zusammen. Poweleit verwies darauf, dass die stillen Reserven einiger Unternehmen – also die Differenz zwischen Buch- und Marktwert von Vermögensanlagen – in den vergangenen Jahren «in den Keller gegangen» seien.
Während des Börsenbooms habe die Höhe branchenweit bei 60 bis 70 Milliarden Euro gelegen. Schätzungsweise seien davon derzeit noch zehn bis 15 Milliarden Euro übrig. Vor allem bei den Immobilien gebe es seit Jahren die Diskussion, «ob man sich da nicht reich rechnet», warnte der Experte.
Damit wird ein Thema aufgefrischt, das ich auch bei Moving Markets seit längerem beschrieben habe. So hieß es im Bericht vom 20.05.2005:
In den vergangenen Tagen hatte ich die These aufgestellt, daß Versicherungsunternehmen wie 2001, 2002 und Anfang 2003 als Verkäufer an den Aktienmärkten auftreten könnten. Dazu habe recherchiert und folgende Ergebnisse erhalten:
Daß die Versicherungsunternehmen insbesondere an den Aktienmärkten als Käufer entfallen, liegt daran, daß sie weiterhin daran arbeiten müssen, die stillen Reserven zu erhöhen. Stille Lasten wurden zwar 2003 und 2004 zum größten Teil beseitigt. Aber die Kapitaldecke ist immer noch so dünn, daß drei Versicherer den Stress Test der BaFin nicht bestanden haben (FTD vom 19.05.2005). Auch 2004 verfügten die Versicherer bei Rentenversicherungen nicht über erforderliche Reserven (Die Welt vom 26.09.2004). Große Sprünge können die Versicherer deshalb nicht machen, so daß sie als kapitalkräftige Investoren wegfallen. So erklärt sich auch die niedrige Bewertung des Aktienmarktes.
Die Assekuranz hält sich bei neuen Investments zurück, weil für jede gekaufte Aktie sofort 35 Prozent Kursverlust im Stress Test anfallen (Anleihen 10 Prozent, Immobilien ohne Risiken). Daß der DAX gegenüber dem Vorjahr knapp 10 Prozent zulegte, brachte deshalb kaum Entlastung. Die Kursverdoppelung des DAX seit 2003 fällt dabei kaum ins Gewicht: Die stillen Lasten wurden dabei etwas mehr als ausgeglichen und dürften für ein sicheres Polster wie zum Ende der 90er Jahre kaum ausreichen.
Weil sich zusätzlich der Kapitalbedarf aufgrund veränderter Sterbetafeln erhöht und bis 2007 neue Bilanzierungsvorschriften zur Eigenkapitalbildung anstehen (Stichwort Solvency II), agieren die Versicherer bei Aktien zurückhaltender. Außerdem: Die Ratingagentur Fitch kritisiert den 2004 gelockerten Streß Test der BaFin als „trügerische Sicherheit“: Danach wird das Szenario fallender Rentenmärkte nicht mehr mit schwachen Aktien kombiniert, sondern in getrennten Ausfallsszenarien.
Das begünstigt Versicherer mit hohem Aktienanteil – zumal nun auch Absicherungsmaßnahmen, z.B. Hedges, berücksichtigt werden. Was nach meiner Einschätzung jedoch schwerer wiegt, ist die Immobilienseite: Hier berücksichtigt der BaFin Stress Test keine Ausfallrisiken. Entsprechend großzügig dürfte hier in den vergangenen Jahren bilanziert worden sein. Und: Wird das Steuerprivileg abgeschafft, haben die Versicherer möglicherweise ein weiteres Problem mit der Eigenkapitalbeschaffung.
Deshalb kommt Fitch im Oktober 2004 zu dem Urteil: „Ausblick für die deutsche Lebensversicherungsbranche (…) aufgrund der großen Anzahl destabilisierender Faktoren negativ. (…) Nach drei Jahren des Niedergangs befindet sich die deutsche Lebensversicherungsbranche damit auf dem Wege der Besserung, jedoch bleiben noch erhebliche Unsicherheiten bestehen | Fitch Webseite mit Studien.
Es erscheint es gut möglich, daß neben den Lebensversicherern auch auch Sachversicherer und Banken ein Problem mit den Bewertungen ihrer Reserven haben. Das erklärt die Zurückhaltung trotz der günstigen Aktienbewertung. Zeitbombe Immobilien: Sollte es hier eines Tages Abschreibungsbedarf geben, ist es nicht so einfach, die Lasten zu beseitigen. Denn Verkäufe wie beim Aktienmarkt würde der Immobilienmarkt in Deutschland nicht verkraften. Und hier streiten sich die Gelehrten noch, wie Immobilienbesitz angemessen bewertet wird.
Möglicherweise war der Deka Crash im vergangenen Jahr erst der Anfang. Der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) wirft zu dem Thema Nebelkerzen, wie die FTD schreibt. Ob der Verband gute Stimmung verbreiten will, um die tatsächliche Lage zu verschleiern? Auf jeden Fall ist es angebracht, Blue Chips zu meiden, weil praktisch jederzeit eine neue Schieflage mit negativen Folgen für den Aktienmarkt auftreten kann. Das Vertrauen, daß Sicherheiten in den Bilanzen nach tatsächlichen Marktbedingungen bewertet werden und ausgewiesene Reserven echte Reserven sind, ist nicht berechtigt.
Auf die aktuelle Situation übertragen bedeutet das: Solange der Aufwärtstrend intakt ist, können sich Anleger freuen. Aber es gibt weiterhin Hinweise, die anhaltende Risiken signalisieren. Hierbei geht es um grundlegende Strukturen, die bei Schieflagen gefährdet wären.
Ob der Vergleich mit einem Leichtbau-Kartenhaus berechtigt ist, läßt sich (noch) nicht beurteilen. Ratsam bleibt es, die Indikatoren aufmerksam zu verfolgen, um von einer „großen“ Top Bildung nicht auf dem falschen Fuß erwischt zu werden.