Spannend:
Es gilt eine öffentliche Übereinstimmung quer durch alle Parteien, von den Führungsetagen der Wirtschaft bis zum Arbeiter am Fließband. So etwas ist selten und eigentlich ein Wunder. An dieser Stelle sei auf den gesellschaftlichen Konsens hingewiesen:
Deutschland überaltert.
Frauen sind weniger gebärfreudig als früher.
Männer entziehen sich ihrer Verantwortung, indem sie nicht Vater werden wollen.
Dazu werden Statistiken herangezogen, die die Bevölkerungspyramide von 1910 zeigt und Hochrechnungen für die nächsten 50 Jahre, die das Format eines Pilzes haben: Schwache junge Jahrgänge und ein „Überhang“ der geburtenstarken Jahrgänge 1960ff.
Europas Statistiker (Eurostat) errechnen für Deutschland eine Fruchtbarkeitsrate der Frauen von 1,33 – eine niedrige Zahl, die von Ostdeutschen Fruchtbarkeitsraten, die unter 0,8 liegen sollen, dramatisch ergänzt wird.
Seit gestern denke ich anders darüber. Dass die Deutschen ein Demografieproblem haben, ist offenbar ein Mythos – mit Folgen für die Sozialgesetze, Familienpolitik, Versicherungsbeiträge. Mit niedrigen Geburtenzahlen wird öffentliche Empörung ausgelöst und Politik gemacht.
Die Wirklichkeit ist anders, denn die amtlichen Statistiker begehen einen Fehler: Sie vernachlässigen, dass moderne Familien nicht mehr in jungen Jahren gegründet werden, sondern wegen der hohen Lebenserwartung sehr viel später als zur Jahrhundertwende.
Es werden voraussichtlich sehr viel mehr Kinder geboren, als die Mehrheit der Bevölkerung denkt. Denn:
Die endgültige Zahl der geborenen Kinder lässt sich erst dann feststellen, wenn eine Frau nicht mehr im gebährfähigen Alter ist. Deshalb gibt die Statistik für den Jahrgang 1960 Entwarnung:
Die Geburtenrate für 2006 lag in Westdeutschland bei 1,6 und im Osten bei 1,8 Kindern pro Frau.
Das ist natürlich weit von der Königszahl 2,1 entfernt. Aber die Entwicklung ist weniger dramatisch als Statistiker projizieren: Seit knapp 15 Jahren (Jahrgänge 1945ff) ist die Geburtenrate in Westdeutschland konstant. Mit etwas mehr Zukunftsoptimismus der Politiker und Medien ließe sich der Abwärtstrend sogar brechen und Deutschland könnte an den französischen Babyboom anknüpfen.
Dazu gehört eine weitere Erkenntnis, die in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist:
Die Bevölkerungsforscher errechneten bei Akademikerinnen eine hohe Kinderlosigkeit von über 40 Prozent, indem sie Frauen im Alter von 35 bis 39 Jahren befragten. ABER:
Forscher des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) fanden heraus, dass bei einer Hinzunahme der über 38jährigen (38 – 43 Jahre) nur noch 30 Prozent kinderlos blieben.
Die offizielle Statistik des Bundesfamilienministeriums arbeitet mit einer anderen Zahl: Sie veröffentlichte, dass 43 Prozent der Akademikerinnen ohne Kinder leben und löste damit eine Debatte über deren Verweigerungshaltung aus.
All das können Sie umfangreich mit Zahlen- und Quellenmaterial belegt finden bei der ZEIT:
http://www.zeit.de/2006/26/Demografie-3
Die Zeit-Studie erschien im Juni 2006. Der Autor Björn Schwentker schließt mit der Bemerkung:
„Ist es bloß Zufall, dass alle gestrichenen Fragen in irgendeiner Weise mit der Auflösung des traditionellen ehelichen Familienbildes zu tun haben? Oder möchte man wirklich nicht wissen, wie modern diese Gesellschaft inzwischen geworden ist? Das wäre nicht nur fatal für die Sozialforschung, sondern auch für die Politik, die doch eigentlich die Gesellschaft kennen sollte, deren Wandel sie gestalten will.“
Unter dem Deckmantel der Demografie werden Gesetze beschlossen, Vertragsbedingungen angepasst und es fließen Milliardensummen. Das alles geschieht mit dem Segen des Verbrauchers, der sich voller Sorgen auf die Statistiken verlässt.
Wie in der Kreditklemme der Banken: Was weiss der Bürger wirklich?
Jutta says
ich bin voll Ihrer Meinung Herr Schmidt.
Die Deutschen werden mit nicht korrekten Statistiken belogen. Vor allem die politischen Parteien haben entdeckt, dass mit statistischen Ergebnissen gefütterte Talkrunden (von beflissenen Schwätzern unterstützt) in ihrem Sinn Politik machen. Was liegt da näher, dieses Instrument für politische Zwecke zu nutzen.
Falls Medien, wie in diesem Fall „Die Zeit“, dies ins rechte Licht rücken, kommt die gewollte Verunsicherung und die Mundstopftaktik für die ältere Bevölkerung in Deutschland, so richtig zum Vorschein.
Warum gibt es keine offzielle Statistik zu dem Wachstum von Pensionen der Beamten und der Zusatzpensionen im Öffentlichen Dienst?
Was ich vermute, man will an den Rentenzahlungen für die Arbeitnehmer (die ihr Leben lang zwangsweise und dynamisch in dieses System einzahlen mussten) sparen, da die großen Ausgaben für das Wachsen der staatliche Pensionen von mehreren 100 Milliarden zukünftig zu stemmen sind. (Die Pensionisten und der Staat haben wenig in dieses System einbezahlt, es wird überwiegend aus Steuereinnahmen alimentiert.)
Man hat sogar die Angestellten im Öffentlichen Dienst auch deswegen verbeamtet um die anteiligen Sozialabgaben vorerst zu sparen. War alles legitim und wurde auch nicht groß publiziert.
Es ist also eine Umschichtung von zukünftigen Zahlungen für die gesetzliche Rentenversicherung zu staatlichen Pensionen im Gange. Und dass, obwohl im Rahmen der Wiedervereinigung für die ostdeutsche Bevölkerung, allein die westdeutsche Rentenversicherung zu 80% unrechtmäßig belastet wurde. Hätte man, rein hypothetisch, dazu die Rentenversicherung der deutschen Juristen mit einbezogen, hätte es einen Aufschrei gegeben.
Da gab es niemanden ausser Lafontaine der dies bemängelte.
Die älteren Arbeitnehmer in Deutschland haben keine Ahnung in welch unverschämter Weise sie von der Politik über den Tisch gezogen wurden und werden. Sie sind auch nicht unschuldig daran, sie lassen es sich gefallen und wählen auch noch diese Leute. Sie sollten schleunigst einen eigenen Verein gründen (ohne Politiker mit einzubeziehen) und mit mehr Nachdruck ihre eigenen Interessen vertreten.
Vergessen wir nicht, gerade die Älteren sind es, die für ihre Enkel da sind und íhnen was zustecken. Nicht selten kommen sie auch für die Ausbildung auf. Ich finde in privater Hand ist das allemal besser aufgehoben, als beim Staat.
Wenn es was zu holen gibt, dann macht er sich stark und kassiert ab. Wenn er pleite ist, dann ist wieder die Leier von der privaten Initiative und Verantwortung zu hören.
Vergessen wir nicht, mit der Wegelagerei an den Salzstrassen hat es angefangen, später wurden daraus Zollstationen. Die Mentalität der Regierenden hat sich bis heute nicht wesentlich verändert.
Es ist beim Abkassieren und bei Versprechungen geblieben. Maxime ist, die Partei muss überleben, der Rest ist egal.
Gert Schmidt, Trend Gedanken Herausgeber, Moving Markets Depot says
Eine Beurteilung der Situation muss nicht gleich so hart ausfallen. Oft ist es auch das Desinteresse der Bürger, das zu Fehlentwicklungen führt. Im Extremfall kommt es dazu, dass die Volksvertreter machen, was sie wollen – trotz demokratischer Verhältnisse.
Wir als Bürger können auch „Lobbyarbeit“ machen, z.B. indem wir unsere Vertreter ganz konkret zu einzelnen Sachthemen befragen.
Die Plattform
http://www.abgeordnetenwatch.de
ist sehr gut dafür geeignet – und wohl viel zu wenig genutzt.
Bitte beachten: Dort lässt sich Werbung ein- und ausschalten. Einschalten empfehlenswert, um den nützlichen Dienst für die Basisdemokratie zu fördern.
Hendrik says
Danke für die Beiträge. Leider sehr sehr wahr!!!
Gruss