Auf den ersten Blick sind es gute Nachrichten: Wenn die Nachrichtenticker über einen voraussichtlichen Gewinn von mehr als 400 Mio Euro nach vorher geschätzten 383 Mio Euro für 2005 berichten, ist das schon eine beflügelnde Information.
Wenn außerdem der Vorstand von „Lufthansa ist wieder zurück auf der Bühne“ spricht, bauen die Redakteure gern ein solches Zitat in ihre Texte ein. So schrieb die Süddeutsche Zeitung:
Analysten zeigten sich durchweg vor allem von der daraufhin angehobenen Gewinnprognose für das Gesamtjahr beeindruckt. Statt eines operativen Gewinns auf Vorjahresniveau (383 Mio) sollen nun „mehr als 400 Millionen Euro“ herauskommen. „Das scheint erreichbar“, urteilte HelabaTrust. Kley konkretisierte die Angaben auf einer Telefonkonferenz am Mittwoch zwar nicht, nannte die jüngste Angabe aber „konservativ“: „Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn wir dies nicht übertreffen werden. Sie können davon ausgehen, dass ich damit nicht nur 401 Millionen Euro Gewinn meine“, so Kley.
‚LUFTHANSA IST WIEDER ZURÜCK AUF DER BÜHNE‘
Auch beim Überschuss erwartet der Finanzchef für die Zukunft weitere Zuwächse. In den nächsten Quartalen seien ein Buchgewinn durch den Amadeus-Anteilsverkauf (180 Mio), höhere Beteiligungsergebnisse unter anderem bei Thomas Cook sowie operative Ergebnisverbesserungen in den eigenen Sparten zu erwarten, hieß es. „Lufthansa ist wieder zurück auf der Bühne“, sagte Kley.
Solche Informationen, die zigfach kopiert über die Nachrichtenticker gingen, beflügelten die Phantasie der Börsianer. Lufthansa legte heute knapp 4,45 Prozent zu.
Bei solchen Ereignissen frage ich mich immer, wo der Haken sein könnte. Das ist wie in der Politik – oder wie bei einem wortgewaltigen Versicherungsvertreter: All die guten Nachrichten, Vorteile und optimistischen Szenarien sind wohl gut gemeint. Vor allem: Die Damen und Herren wollen stets „unser Bestes“. Aber was geschieht und wer kommt dafür auf, wenn all die gut gemeinten Szenarien nicht aufgehen?
Und bei Lufthansa: Liegen wirklich all die Anleger richtig, die heute die Aktie in erheblichem Umfang orderten?
Das ist schwer zu sagen. Aber es beschleicht dem mit spitzem Bleistift rechnenden Aktionär ein unangenehmes Gefühl. Hohe Umsätze mit steigenden Notierungen sind grundsätzlich ein Warnsignal.
Außerdem gefällt die Zahl „400 Mio Euro Gewinn“ nicht – die alte Leier des Schönredens. Denn den Anteilseigner interessiert nur am Rande, wie der Vorstand sein operatives Geschäft leitet. Der Aktionär will wissen, was unterm Strich, nach Abzug sämtlicher Kosten, Abschreibungen und Steuern, übrig bleibt: die Höhe des Nettogewinns.
Linktip: Bilanzkennzahlen von 1993 bis 2004.
Beispiel: Lufthansa erwirtschaftete von 1997 bis 2000 einen (Netto)Jahresüberschuss in der engen Schwankungsbreite von 401 bis 445 Mio Euro – eine überaschaubare, regelmäßig erzielte Zahl.
Der operative Gewinn schwankte statt dessen in größerem Umfang zwischen 723 und 1.080 Mio Euro.
1999 Operativer Gewinn: 723 Mio Euro, Jahresüberschuss 402 Mio Euro
1998 Operativer Gewinn: 1.080 Mio Euro, Jahresüberschuss 401 Mio Euro
Aber es kommt noch besser:
2002 Operativer Gewinn: 718 Mio Euro, Jahresüberschuss 1.111 Mio Euro
Obwohl operativ weniger verdient wurde, blieb am Ende mehr übrig.
Die Zahlenvergleiche von 2003 und 2004 zeigen ebenfalls, dass ein operativer Gewinn für den Aktionär keine verläßliche Größe ist:
2003 Operativer Gewinn: 36 Mio Euro, Jahresüberschuss minus 1.223 Mio Euro
2004 Operativer Gewinn: 383 Mio Euro, Jahresüberschuss 265 Mio Euro
Das Lufthansa-Ergebnis wurde in der Vergangenheit auch durch Schwankungen in den Investitionen geprägt. So gab es im Verlustjahr 2001 Investitionen von 2.979 Mio Euro. 2002 betrug der Wert lediglich 880 Mio Euro. Der hohe Gewinn wurde mit niedriger ausgewiesenen Investitionen erkauft.
Wenn jetzt der Vorstand über 400 Mio Euro operativen Gewinn verspricht, liegen trotzdem wichtige Daten im Dunkeln. Es erscheint deshalb etwas rätselhaft, warum Anleger in einem solchen Umfang heute Lufthansa-Papiere orderten. Eine mögliche Erklärung: Die positive Stimmungmache erzielt Wirkung.
Ich möchte meine Anlageentscheidungen aufgrund von Informationen zum voraussichtlichen Nettogewinnen treffen. Alles Andere wirkt als unsichere Beschreibung der Zukunft des Unternehmens oder Schönfärberei kritischer Zahlen. Deshalb wird es für das Moving Markets Depot kein Investment geben, bei dem unklar ist, wie die Nettoergebnisse aussehen werden.
Mit dieser Perspektive erscheint Lufthansa als SHORT Investment geeignet. Auf keinen Fall stufe ich die Aktie als kaufenswert ein. Anleger könnten 2006 eine bittere Pille verabreicht bekommen, wenn möglicherweise „unplanmäßige“ Abschreibungen fällig werden …
2002, als die Aktie längst den Rückwärtsgang eingelegt hatte, wurde im Lufthansa-Zwischenbericht ebenfalls versucht, gute Zahlen herbeizureden:
Ausblick
Auf Basis der guten Entwicklung im ersten Halbjahr geht Lufthansa davon aus, dass für das Jahr 2002 ein operativer Gewinn von mindestens 500 Mio. Euro erzielt werden kann.
Der Persilschein für beliebige Risiken:
Diese Prognose berücksichtigt die kalkulierbaren Risiken und ist selbst bei verzögerter Konjunkturbelebung erreichbar. Voraussetzung ist allerdings, dass keine neuerlichen
terroristischen oder geopolitischen Ereignisse die positive Geschäftsentwicklung beeinträchtigen.
Natürlich geht es weiter aufwärts, sagt der Vorstand:
Alles in allem gehen wir weiterhin davon aus, dass wir das Jahr 2002 deutlich besser abschließen können, als es Anfang des Jahres abzusehen war. Unter diesen Voraussetzungen
wird für das Geschäftsjahr 2002 auch wieder eine Dividendenzahlung möglich.
Sollte die erhoffte Wirtschaftsbelebung in Deutschland noch im zweiten Halbjahr einsetzen, sehen wir dies als Chance für eine weitere Verbesserung des Ergebnisses.
Danach gingen die Notierungen rund 50 Prozent in die Knie, weil die tatsächlich erzielten 718 Mio Euro operativer Gewinn (Vorstandsprognose sogar übertroffen!) an der Börse niemanden mehr interessierte. Angesichts solcher Daten fällt es schwer, die Aktie zu mögen.